Textilien: Geschichte der Herstellungstechniken

Textilien: Geschichte der Herstellungstechniken
Textilien: Geschichte der Herstellungstechniken
 
Die Herstellung von Textilien ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Die ältesten Textilfunde sind Bastsandalen aus der Fort-Rock-Höhle in Oregon, USA. Der Altersbestimmung mithilfe der Radiokarbonmethode zufolge sind sie etwa 9000 Jahre alt. In einer Höhle in Mexiko entdeckte man Baumwollkapseln und Stoffe aus der Zeit um 5800 vor Christus. Leinengewebe, die aus der Zeit um 4500 vor Christus stammen, haben im trockenen Klima Ägyptens überdauert. In anderen Regionen entwickelte sich die Kunst, Textilien herzustellen, vermutlich ähnlich früh. Funde von Spindeln aus Knochen und Holz deuten darauf hin. Wann die Technik des Spinnens entwickelt wurde, ist nicht bekannt. Vermutlich hatten die Menschen schon in der Steinzeit beobachtet, dass durch Zusammendrehen mehrerer Fasern ein langer, kräftiger Faden entsteht.
 
Die Fertigkeit des Webens ist sehr wahrscheinlich aus dem Flechten entstanden, das schon die ersten Jäger und Sammler beherrschten. Die Etymologie des Wortes Textil verweist auf die Bedeutung des Webens für die Textiltechnik: Es leitet sich von dem lateinischen »textilis« ab, das gewebt oder gewirkt bedeutet.
 
Zunächst verwendete man Rohstoffe, die sich so verarbeiten ließen, wie die Natur sie lieferte: Binsen, Rosshaar und Bastfasern verlängerte man durch Verzwirnen von Hand. Auf diese Weise stellte man Schnüre zum Angeln, Netze oder Matten zum Schutz vor Sonne und Regen her.
 
In der Frühgeschichte war das Schaf ein wichtiger Rohstofflieferant für Bekleidung. Das Schaf ist das älteste Haustier der Welt. Ausgrabungen deuten darauf hin, dass schon 9000 vor Christus in Kurdistan die ersten Wildschafe domestiziert wurden. Die Verwertung der Wolle war die vorrangige Nutzung des Schafs, erst in zweiter Linie kam die Produktion von Fleisch und Milch hinzu. Der Typus des reinen Wollschafs scheint sich in Kleinasien entwickelt zu haben. Von dort aus ist es nach Europa gekommen, zunächst nach Griechenland und Italien. Die Römer trugen vorwiegend Kleidung aus Wolle. Mit der Ausbreitung des Römischen Reiches verbreitete sich die Schafhaltung und Wollverarbeitung weiter nach Nord- und Westeuropa. Das Merinoschaf, dessen Wolle besonders weich und fein ist, stammt aus Spanien.
 
Systematischer Flachsanbau und die Verarbeitung zu Leinen sind von den Sumerern und anderen frühen Kulturvölkern bekannt. Etwa 3000 vor Christus trug man in Ägypten Leinengewänder. Zu dieser Zeit verwendeten auch die Germanen hauptsächlich Leinen. Den Beginn des Baumwollanbaus in Südamerika schätzt man auf 2700 vor Christus. Hundert Jahre später züchteten die Chinesen bereits Seidenraupen, die den kostbarsten Faserrohstoff liefern. Die Römer wogen ein Pfund chinesischen Seidenstoff mit einem Pfund Gold auf. China hielt jahrhundertelang das Seidenmonopol. Um 550 nach Christus sollen Schmuggler Eier von Seidenraupen nach Europa gebracht haben.
 
Im Mittelalter entwickelten sich England, Frankreich, Italien, Deutschland und die Niederlande zu den wichtigsten Textilerzeugerländern. Das Spinnrad war das erste mechanische Hilfsmittel bei der Herstellung von Textilien. Vorläufer sind aus der Frühgeschichte des Orients bekannt.
 
Das Flügelspinnrad ist Vorbild für das industrielle Spinnen. Erste Entwürfe hierfür stammen von Leonardo da Vinci. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts stellte man Textilien noch mit einfachen, handbetriebenen Geräten her. Mit den ersten Patenten für Maschinen zum Spinnen und Weben begann von England ausgehend eine umwälzende Epoche in der Textilgeschichte. Das Zeitalter der industriellen Revolution wäre ohne die Textilindustrie nicht denkbar. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kamen in allen europäischen Ländern Textilmaschinen zum Einsatz und verdrängten das lokale Handwerk. Textilien, besonders Baumwollprodukte, waren zu dieser Zeit die wichtigsten Fabrikwaren.
 
Die Textilindustrie ist ein Wirtschaftszweig, der aus Rohfasern Garne, Gewebe, Maschenwaren und andere textile Flächengebilde zur weiteren Verarbeitung herstellt. Zur Textilindustrie zählt auch der gesamte Bereich der Textilveredlung. Nicht dazu gehören die Chemiefaserindustrie und die Bekleidungsindustrie.
 
Die Herstellung von Textilien verläuft in mehrere Stufen. Aus Natur- und Chemiefasern entstehen in der Spinnerei zunächst Garne. In der Weberei, Wirkerei, Strickerei, bei der Filz- und Vliesherstellung oder beim Tuften (Technik zur Herstellung von Teppichböden) werden die Garne dann zu textilen Flächen verarbeitet. Gegenstand der Textilveredlung ist es, die Flächen zu färben, zu bedrucken und mit weiteren Eigenschaften auszustatten. Die Bekleidungsindustrie bildet zusammen mit dem Bekleidungshandwerk einen separaten Wirtschaftszweig. Hier werden Schnitte entworfen, Stoffe zugeschnitten und Kleidungsstücke genäht, gebügelt und verpackt.
 
Die verschiedenen Produktionsstufen der Textilherstellung sind selten in einem einzigen Unternehmen vereint, vielmehr haben sich verschiedene Firmen auf einzelne Produktionsstufen spezialisiert.
 
Dr. Cornelia Voss
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Textiltechnik: Natur- und Kunstfasern
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Kleidung: Vom Grundbedürfnis zur Massenware
 
 
Adebahr-Dörel, Lisa u. a.: Kleine Textilkunde. Hamburg 151997.
 Adebahr-Dörel, Lisa / Völker, Ursula: Von der Faser zum Stoff. Textile Werkstoff- und Warenkunde. Hamburg 311994.
 Döring, Friedrich-Wilhelm: Vom Konfektionsgewerbe zur Bekleidungsindustrie. Zur Geschichte von Technisierung und Organisierung der Massenproduktion von Bekleidung. Frankfurt am Main u. a. 1992.
 
Fachwissen Bekleidung, Beiträge von Hannelore Eberle u. a. Haan 51998.
 Föhl, Axel / Hamm, Manfred: Die Industriegeschichte des Textils. Düsseldorf 1988.
 
Grundlagen textiler Herstellungsverfahren, bearbeitet von Rolf Goldacker u. a. Leipzig 1991.
 Heudorf, Claus: Warenverkaufskunde für den Textilhandel. Rinteln 51994.
 Schierbaum, Wilfried: Bekleidungs-Lexikon. Berlin 31993.
 Seiler-Baldinger, Annemarie: Systematik der textilen Techniken. Neuausgabe Basel 1991.

Universal-Lexikon. 2012.

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